Ja, auch Deutschland hat eine Kolonialgeschichte. Und ja, auch hierzulande sind die Köpfe durch jahrhundertealte rassistische Muster geprägt! Das macht die Ökonomin und Historikerin Friederike Habermann in ihrem kurzweilig geschriebenen Bändchen über den «unsichtbaren Tropenhelm» deutlich und plädiert dafür, die damit verbundenen Überlegenheitsphantasien abzulegen.
«Wer die abendländische Gesellschaft für frei, aufgeklärt und gerecht hält, wird über die Wunden, auf die Friederike Habermann den Finger legt, erstaunt sein», heißt es in der Verlagsankündigung. Exakt – außerdem aber auch oft amüsiert und nicht selten schockiert.
Amüsiert etwa über dumpfbackige Äußerungen des hoch geachteten Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant wie: «Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen.» Schockiert zu erfahren, dass in der Kolonie «Deutsch-Südwest» Auspeitschungen der Ur-Einwohner durch die deutschen Kolonialherren an der Tagesordnung waren, «mit Vorliebe quer über das Gesicht». Und unangenehm berührt von Habermanns kühlem Hinweis darauf, dass wir es hinnehmen, dass heute alltäglich 100 000 Menschen verhungern – ganz ohne Nilpferdpeitsche.
«Da die Menschen alle aus Afrika kamen, haben wir alle einen migrantischen Hintergrund», erinnert uns die Autorin. «Alle späteren Versuche, Grenzlinien zwischen Menschen zu ziehen – sei es aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion oder was auch immer, dienen vor allem einem: klar zu machen, wer dazu gehört und wer nicht. Und damit letztlich: Wer an bestimmten Privilegien teilhat und wer nicht.»
So wird präzise auf den Punkt gebracht, was den Kern von Rassismus, Sexismus, Islamophobie, Antiziganismus und anderen Ausschlussmethoden ausmacht. Das «Othering» nämlich (der Begriff stammt von Gayarti Chakravorty Spivak, die es als Charakteristikum postkolonialen Verhaltens beschrieb), das «Zum-Fremden-Stempeln» wird in mehr oder weniger subtilen Formen auch hierzulande meist unbewusst, dennoch gnadenlos betrieben. Vor allem von den (weißen) Zeitgenoss_innen, denen es nützt.
Der historische Widerspruch zwischen der Proklamierung der Menschenrechte auf der einen Seite und dem Kolonialsystem und der Sklaverei auf der anderen Seite, den Habermann darstellt, erinnert unangenehm an zeitgenössische Kriege im Namen von Menschenrechten und darauf folgende Flüchtlings“ströme“, die dazu dienen, Illegalisierte in den reichen Industriestaaten auszubeuten.
Die Leser_innen erfahren, wie die Differenz der Hautfarben und darauf basierend die Wertigkeit von Menschen konstruiert wurde – in aufsteigender Linie von den «niederen» Afrikanern bis zu den Europäern «direkt unter den Engeln».
Kapitelüberschriften wie «Ist Rassismus von gestern?», «Die Bürde des weis(s)en Besserwessis», «Freiheit, Gleichheit, Ausschluss», «Die Erfindung des ‹Hungernden› im 18.Jahrhundert», «Wie wir uns selbst kolonialisieren», «Sex, ‹Race› und der Homo oeconomicus» umreißen die Bandbreite der kompakten, fakten- und gedankenreichen Darstellung.
Friederike Habermann: Der unsichtbare Tropenhelm. Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht. Drachen Verlag, Klein Jasedow 2013, 112 Seiten, 10 EUR
Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 351 von CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation (Dezember 2013): www.contraste.org