Zahlreiche Veranstaltungen zur Selbstenttarnung des NSU
Am 4. November 2011 ging in Eisenach vor den Augen der Polizei ein Wohnmobil in Flammen auf. Darin wurden zwei Leichen gefunden, die offensichtlich vorher gewaltsam zu Tode kamen. Stunden später explodierte in der Zwickauer Frühlingsstraße eine Wohnung und brannte aus. In den folgenden Tagen rollte eine Lawine von ungeheuerlichen Erkenntnissen durchs Land: die beiden toten Männer in dem Wohnwagen waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Wohnung in Brand setzte in Zwickau Beate Zschäpe, die sich vier Tage nach Eisenach den Behörden stellte. Die drei sollen der Kern einer neonazistischen Terrorbande mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gewesen sein und nach ihrem Untertauchen 1998 während der Jahre 2000 und 2007 neun Menschen aus rassistischen Motiven und eine Polizistin ermordet haben, mindestens drei Sprengstoffanschläge, einer davon mit einer verheerenden Nagelbombe in Köln mit vielen Verletzten, und (mindestens) 15 Bankraube verübt haben.
Hinter dem Agieren des NSU und seines wohl mehrere Hundert Personen umfassenden Unterstützer_innen-Netzwerks öffnete sich das Panorama des wohl größten Geheimdienstskandals der Geschichte der Bundesrepublik und eines unvorstellbaren behördlichen Rassismus in den Mordermittlungen. Gegen die Familien und das soziale Umfeld der Opfer und die Ermordeten selbst wurde über Jahre mit kruden Vorwürfen und rassistischen Anschuldigungen ermittelt und selbst als die Mordserie mit der immer gleichen Tatwaffe offenbar wurde, rückten die Behörden nicht von ihrer starrsinnigen Annahme ab, es müsse sich um Formen „Organisierter Kriminalität“ (OK) im Ausländermilieu handeln. Für die betroffenen Familien eine bis zu einem Jahrzehnt währende Demütigung ohne das je auch nur ansatzweise Spuren ins Nazi-Milieu verfolgt worden wären. Wie weit staatliche Verstrickung in das Geschehen gegangen ist, ist bis heute nicht ansatzweise geklärt, im Gegenteil: ein beispiellos dreister Vertuschungs- und Obstruktionsskandal der in der Kritik stehenden Behörden (Polizei, Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“, Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD) usw.) überschattet selbst die Aufklärungsbemühungen Parlamentarischer Untersuchungssausschüsse (im Bundestag, in den Landesparlamenten von Thüringen, Sachsen und Bayern — teilös bereits abgeschlossen) und des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht in München (seit 6.5.2013). Da wird Information vorenthalten und manipuliert, Akten geschreddert oder vorenthalten und eine Aufklärung zu Fragen der Geheimdienst-Informanten im Umfeld der Mörder hintertrieben. Tatsächlich lassen sich rund um die „Zwickauer Zelle“ sage und schreibe 24 V‑Leute des Verfassungsschutzes und anderer Behörden nachweisen. Viele ungeklärte Fragen (z.B.: War der Tod Mundlos‘ und Böhnhardts wirklich Selbstmord?) und haarsträubende Ungereimheiten sind nach wie vor unaufgeklärt. Welche nationalen Netzwerkemit dem und internationalen Verbindungen zum NSU nachweisbar sind ebenso.
Aber auch eine kritische und linke Öffentlichkeit hat von dem mörderischen Agieren des NSU keine Kenntnis genommen und sich von den Medien, die die Polizeiversionen ungeprüft und auflagensteigernd skandalisiert übernahmen, den Bären der kriminellen Machenschaften im „Ausländermilieu“ aufbinden lassen: niemand hat gegen die Etikettierung der grausamen Hinrichtungen als „Döner-Morde“ je lautstark protestiert oder auch nur Zweifel angemeldet. Auch nachdem in Kassel, nach der Ermordung des jungen Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat am 6. April 2006, tausende Menschen migrantischen Hintergrunds unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ demonstrierten, wachte eine deutsche Öffentlichkeit — mit den rassistischen Erklärungen offenbar einverstanden — nicht auf.
Immernoch verhalten und erst langsam artikuliert sich ein Aufschrei, der all das nicht mehr zu akzeptieren bereit ist und beginnt, eine öffentliche Diskussion der Skandale, des behördlichen und gesellschaftlichen Rassismus und der enormen Gefahren für das Gemeinwesen, die von den unkontrollierbaren (Inlands-)Geheimdiensten ausgehen, zu erzwingen. Zum Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU finden neben einer Demonstration am Samstag, 2.11.2013 um 12 Uhr am Platz der Luftbrücke in Berlin-Tempelhof eine ganze Reihe von Veranstaltungen statt, auf die wir hier auf antifra* aufmerksam machen wollen:
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NSU-Naziterror zwischen Aufklärung und Vertuschung
4.11.2013, 19 Uhr, im Monarch, Skalitzer Str. 134
Vor zwei Jahren, am 4. November 2011, starben zwei NSU-Mörder nach einem Bankraub in Eisenach. Nach und nach wurde die monströse Dimension der Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) der Öffentlichkeit bekannt. Neun Menschen wurden aus rassistischen Motiven ermordet, eine Polizistin starb unter völlig unklaren Umständen, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt.
Unter dem Schock des Bekanntwerdens eines Terrornetzwerks versuchte die kritische Öffentlichkeit aus Journalist_innen, migrationspolitischen Initiativen und Antifaschist_innen Licht ins Dunkel des NSU-Komplexes zu bringen. Rassistische Ermittlungsarbeit und systematische Förderung von Nazigruppen durch die Behörden und Geheimdienste wurde sichtbar. Die Geheimdienste begannen damit, gezielt Akten zu vernichten und die Öffentlichkeit zu täuschen und verdächtige Mitarbeiter zu schützen. Nach zwei Jahren sind immer noch viele Fragen offen und etliche Details deuten auf eine planvolle Verschleierung der Aufklärung und sogar Begünstigung des NSU-Terrors durch Staatsorgane hin.
Viele Linke waren von Beginn an sprachlos angesichts der Mordserie und der beinahe täglichen Enthüllungen: was zu Tage kam spottete jeder „Verschwörungstheorie“. Nicht zuletzt, weil auch in und seitens der Antifa zu wenig kritische Nachfragen in den zurückliegenden zehn Jahren gestellt worden waren. Kaum jemand kann alle Facetten der NSU-Mordserie und der Rolle des Staates überblicken. Eine Situation, die Raum für Fragen und zur Diskussion verlangt.
Wir wollen versuchen im Gespräch einige Blickwinkel zusammen zu bringen.
Miraz Bezar hat den Untersuchungsausschuss im Bundestag begleitet, Fritz Burschel (RLS) besucht als Korrespondent von Radio Lotte und NSU Watch den Prozess und Juliane Karakayali betrachtet die gesellschaftliche Diskussion um Rassismus im Kontext der NSU-Debatte.
Eine Veranstaltung von Avanti-Projekt undogmatische Linke/IL
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Der NSU-Komplex und dessen Aufklärung. Eine kritische Zwischenbilanz zum zweiten Jahrestag der NSU-Selbstenttarnung.
Sonntag, den 3. November, 19 Uhr im Veranstaltungsraum, Französische Friedrichstadtkirche, Gendarmenmarkt 5, 10117 Berlin.
Zwei Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist eine öffentliche Zwischenbilanz zum Stand der Aufklärung des NSU-Komplexes dringend notwendig. Auch wenn es mittlerweile die Abschlussberichte der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Bundestag und im Bayerischen Landtag gibt und der Prozess gegen Beate Zschäpe & Co. am Oberlandesgericht (OLG) München seit einem halben Jahr läuft, sind noch viele Fragen offen. Die Journalistin Andrea Röpke recherchiert seit zwanzig Jahren zur militanten Neonaziszene in Deutschland. Sie warnt davor, den NSU als isoliertes Trio darzustellen. Rechtsanwalt Yavuz Narin vertritt als Nebenklägeranwalt die Familie von Theodorus Boulgarides, der am 15. Juni 2005 vom NSU in München erschossen wurde. Die Familie leidet noch immer unter den Folgen der einseitigen Ermittlungen der Polizei. Yavuz Narin berichtet über den aktuellen Stand des Prozesses am OLG München. Ulli Jentsch arbeitet im Antifaschistischen Pressearchiv (apabiz) e.V., das das Projekt NSU-Watch mitinitiiert hat. Damit wird eine umfassende Begleitung der Aufarbeitung des NSU-Komplexes sichergestellt, auch wenn das mediale und politische Interesse daran nachlässt. Die BAG K+R unterstützt das Projekt. Der Bevollmächtigte des Rates der EKD Dr. Martin Dutzmann wird in seinem Grußwort zur Veranstaltung über die Notwendigkeit kirchlichen Engagements gegen Rechtsextremismus und kirchlicher Solidarität mit den Opfern des NSU und alltäglicher rassistischer Gewalt sprechen. Dr. Rüdiger Sachau (Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin) wird einen Schlusskommentar aus Sicht der Evangelischen Akademie geben.
Voranmeldung erbeten bis zum 31. Oktober 2013 per E‑Mail an: stuermann@asf-ev.de.
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Nürnberg: Eröffnung der Ausstellung
„Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“
Die 22 Tafeln umfassende Ausstellung Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen wurde in den Jahren 2012 und 2013 von der Diplom-Sozialwirtin Birgit Mair im Auftrag des in Nürnberg ansässigen Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e.V. konzipiert und erstellt. Die Ausstellung wurde als Wanderausstellung entwickelt und kann ab sofort über den Verein ISFBB e.V. gebucht werden.
Die Ausstellungseröffnung findet statt am:
Freitag, 8. November 2013, um 18 Uhr
Ort: Gewerkschaftshaus Nürnberg, Kornmarkt 5–7, Saal Burgblick (7. Stock, Aufzug vorhanden)
Referenten: Birgit Mair (Ausstellungsmacherin), Leonhard F. Seidl (Lektorat)
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei. Kooperationspartner: Gewerkschaft ver.di Mittelfranken.
Öffnungszeiten der Ausstellung in Nürnberg: Die Ausstellung ist vom 8. bis 22. November 2013 im 5. und 6. Stock des Gewerkschaftshauses Nürnberg, Kornmarkt 5–7, zu sehen. Montags bis Donnerstag 8.00 Uhr bis 17:00 Uhr, Freitag 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Führungen sind auch außerhalb der Öffnungszeiten abends und am Wochenende nach vorheriger Vereinbarung möglich. Führungen durch die Ausstellung im Gewerkschaftshaus Nürnberg können ab sofort Honorar gebucht werden. Führungen sind auch in türkischer Sprache möglich. Der 60-seitige Begleitband zur Ausstellung kann ab 8. November 2013 im K.I.B.S. (Gewerkschaftshaus Nürnberg, Erdgeschoss) zum Preis von 5 Euro erworben oder auf der Internetseite www.opfer-des-nsu.de bestellt werden.
Die Ausstellung zeigt die Opfer des NSU in einem menschlichen Licht. Ohne das Mitwirken vieler Angehöriger der Ermordeten wäre die Ausstellung nicht realisierbar gewesen. Ihnen allen, vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sowie den Förderern gilt mein besonderer Dank. Die Ausstellung wurde bisher gefördert von der Amadeu-Antonio-Stiftung, vom Kulturreferat der Stadt München, der Stadt Rostock, vom Bildungs- und Förderungswerk der GEW im DGB e.V. und von Einzelpersonen.
Einlassvorbehalt: Neonazis und Rassisten wird gemäß Art 10 des BayVersG der Zutritt zur Veranstaltung verwehrt.
Anfragen: E‑Mail: birgitmair@t‑online.de, Telefon: 0049 (0) 911⁄54 055 934
Weitere Informationen unter
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NSU und Staat Hand in Hand: Filmscreening in Neukölln
Am 31.10.2013, 20 Uhr, Projektraum, Hermannstraße 48, 2. HH, 1.OG:
Info- und Mobiliserungsveranstaltung mit screenings von „ID without colors“ und „Kein 10. Opfer“.
„ID without colors“ beleuchtet die erschreckend alltägliche Praxis des Racial Profiling in Deutschland, die auch in Berlin zur Tagesordnung gehört. „Kein 10. Opfer“ ist ein Kurzfilm von der Demo im Mai 2006 in Kassel. Unter dem Banner „Kein 10. Opfer“ gingen rund 2000 Menschen auf die Straße — fast ausschließlich deutsch-türkische Familien und Angehörige der Opfer.
Zwei Jahre nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde ziehen wir Bilanz. Mindestens neun migrantische Arbeiter und Kleinunternehmer wurden in den Jahren 2000 bis 2006 kaltblütig ermordet, erschossen mit derselben Tatwaffe. Jahrelang konnte die Polizei die Morde nicht aufklären, weil Rassismus nie ernsthaft als Tatmotiv in Erwägung gezogen wurde.
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Dresden: Eine Veranstaltungsreihe der Kampagne Sachsens Demokratie
Zwei Jahre danach. Zur Aufklärung des NSU Komplexes
2.11.2013, 19 Uhr, Kleines Haus, Glaciesstraße 28
Seit Anfang Mai dieses Jahres stehen Beate Zschäpe, André Eminger, Holger Gerlach, Carsten Schultze und Ralf Wohleben vor dem Oberlandesgericht in München. Zschäpe wird Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 bewaffneten Raubüberfällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, den Mitangeklagten u.a. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag, Beihilfe zum Raub. Dieses Verfahren soll mithilfe hunderter Zeug_innen die Taten des NSU aufklären und strafrechtliche Aufarbeitung leisten. Zahlreiche Angehörige der Opfer der Morde und Anschläge des NSU sind in diesem Prozess Nebenkläger. Der Nebenklageverteter Peer Stolle berichtet vom Verlauf und aktuellem Stand des Prozesses und informiert über Möglichkeiten und Grenzen der juristischen Aufklärung der NSU Verbrechen.
Rechtsanwalt Peer Stolle (Berlin), Vertreter der Nebenklage der Angehörigen von Mehmet Kubaşık,
Moderation: Jörg Eichler, für die Kampagne Sachsens Demokratie
In Zusammenarbeit mit Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen
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Kreuzberger Gespräche 13
Rechtsterrorismus in Deutschland: Welche Konsequenzen zog der Staat seit dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie?
Am Mittwoch, 6. November 2013, um 19 Uhr im Tiyatrom, Alte Jakobstraße 12, 10969 Berlin-KreuzbergEine Veranstaltung der Progressive Volkseinheit der Türkei in Berlin e.V. / Halkçı Devrimci Birliği Berlin (HDB, Mitglied in HDF-Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten) mit
Heike Kleffner, Journalistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss, Eberhard Seidel, Soziologe, Journalist, Publizist und Geschäftsführer vom Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, Harald Georgii, Jurist und Leiter des Sekretariats des NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages; Moderation: Ebru Taşdemir (Journalistin) Leitung: Ahmet İyidirli (HDB)
Ende November 2011 flog die Terrororganisation NSU auf. Zwei Jahre ist es nun her, dass neun von insgesamt zehn Morden, begangen u.a. an acht türkischstämmigen und einem griechischstämmigen Kleinunternehmer, als rassistische Morde bekannt geworden sind. Seither machten unzählige Meldungen über das Versagen und über die Verwicklungen staatlicher (Ermittlungs-)Behörden in den NSU-Skandal Schlagzeilen in den Medien. So hat am 26. Januar 2012 der Deutsche Bundestag auf Antrag der Abgeordneten aller fünf Fraktionen einen Untersuchungsausschuss zur Neonazi-Mordserie eingesetzt. Das Gremium solle einen Beitrag zur „gründlichen und zügigen Aufklärung der Taten der Terrorgruppe leisten“, heißt es auf der Website des Bundestags, auf der ferner erklärt wird, dass „Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden gezogen und Empfehlungen für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ausgesprochen werden“ sollen. An diesem Abend wollen wir mit unseren ReferentInnen über die parlamentarische und mediale Aufarbeitung der rechtsextremistischen Taten sprechen und dabei vor allem in Augenschein nehmen, welche Konsequenzen nun bisher tatsächlich nach dem Bekanntwerden der rassistischen Mordserie für den Staat folgte?
Diese Veranstaltungsreihe wird im Rahmen des Programms „Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ mit freundlicher Unterstützung des Senatsbeauftragten für Integration und Migration durchgeführt.