Polizeibelasteter“ Görli

Ous­man S. trifft sich im Som­mer zum Gril­len mit Freun­den im Gör­lit­zer Park. Die­ser Ort gilt als „kri­mi­na­li­täts­be­las­tet“, wes­we­gen die Poli­zei dort ver­mehrt Kon­trol­len durch­führt. Auch als Ous­man sich  am 4. Juli. 2013 mit sei­nen Freun­den trifft, ist die Poli­zei  anwe­send und kon­trol­liert Per­so­nen. Doch der Stu­dent denkt, er habe nichts zu befürch­ten, schließ­lich ist er kein Kri­mi­nel­ler. Plötz­lich kom­men die Polizist_innen  auf den jun­gen Mann zu, zer­ren ihn ohne Erklä­rung  von sei­nen Freun­den weg und legen  ihm Hand­schel­len an. Er fragt die Beam­ten, was los sei und ob sie die Hand­schel­len lockern könn­ten, da die­se ihm sehr weh­tun.  Aggres­siv ant­wor­tet ihm ein Beam­ter:  „Keep quiet and shut up.“ Er muss sich hin­ter einem Busch in eine Rei­he stel­len, wo schon fünf wei­te­re gefes­sel­te Men­schen war­ten. Dort beschlag­nahmt man sei­ne  Sachen und befiehlt ihm anschlie­ßend sich  in den Poli­zei­bus zu set­zen. Ous­man hat Angst, denn nie­mand spricht mit ihm. Nach einer Stun­de darf er wie­der gehen – die Polizist_innen haben ihm nichts Gesetz­wid­ri­ges vor­zu­wer­fen.  Aber er erlebt noch Schlim­me­res: Als er im Febru­ar 2014 sein Stu­den­ten­vi­sum bei der Aus­län­der­be­hör­de  ver­län­gern möch­te, erfährt er von dem Sach­be­ar­bei­ter, dass in sei­ner Akte ste­he, er sei wegen Dro­gen­han­del kon­trol­liert worden.

Eine über­trie­be­ne Ein­zel­re­ak­ti­on? Lei­der nicht, denn Ous­man S. hat kei­ne „wei­ße“ Haut­far­be, genau­so wenig wie die ande­ren fünf Men­schen, die in der Rei­he im Gör­lit­zer Park war­ten muss­ten. Men­schen, die wie Ous­man nicht  „weiß“ aus­se­hen, wer­den in Deutsch­land tag­täg­lich Opfer ras­sis­ti­scher, so genann­ter ver­dachts­un­ab­hän­gi­ger Poli­zei­kon­trol­len, wie auch die Chro­nik zu ras­sis­ti­schen Poli­zei­über­grif­fen im Raum Ber­lin seit dem Jahr 2000 zeigt.

Das Ober­lands­ge­richt Koblenz hat­te zwar im Jahr 2012 ent­schie­den,  nie­mand dür­fe auf­grund sei­ner Haut­far­be kon­trol­liert wer­den, trotz­dem ist Racial Pro­fil­ing eine gän­gi­ge Pra­xis bei Poli­zei­kon­trol­len.  Die Kam­pa­gne für Opfer ras­sis­ti­scher Poli­zei­ge­walt  (KOP) hat nun ein For­mu­lar für poli­zei­li­che Per­so­nen­kon­trol­len vorgestellt.

Das von KOP ent­wi­ckel­te For­mu­lar zu poli­zei­li­chen Per­so­nen­kon­trol­len ist ein Ange­bot an die Poli­zei, Kri­te­ri­en für die Aus­wahl zu kon­trol­lie­ren­der Per­so­nen zu doku­men­tie­ren. Als Vor­bild dien­ten poli­zei­li­che Kon­troll­bö­gen aus den USA, wo bereits seit Jah­ren vie­le Poli­zei­be­hör­den sol­che Bögen benut­zen. Das For­mu­lar dient dazu, neben all­ge­mei­nen Anga­ben zur kon­trol­lier­ten Per­son, den Anlass der Kon­trol­le, Kon­troll­ver­lauf und Kon­troll­ergeb­nis zu pro­to­kol­lie­ren. Denn nur eine trans­pa­ren­te Doku­men­ta­ti­on der Kon­troll­kri­te­ri­en könn­te den immer wie­der erho­be­nen Vor­wurf ent­kräf­ten, die Kon­trol­le sei nach ras­sis­ti­schen Moti­ven erfolgt. Die Idee dabei ist, dass sowohl die kon­trol­lie­ren­den Beamte_innen als auch die kon­trol­lier­te Per­son das Doku­ment unter­schrei­ben sol­len. Dadurch kön­nen Men­schen, die eine „Begeg­nung“  mit der Poli­zei haben, erfah­ren, war­um sie kon­trol­liert wur­den. Außer­dem wür­den die Beamt_innen ihre Kon­trol­len reflek­tie­ren, wenn sie zum Bei­spiel  ankreu­zen müs­sen, ob die Per­son „weiß“ oder „schwarz“ ist.

Die Oppo­si­ti­ons­par­tei­en im Ber­li­ner Abge­ord­ne­ten­haus, die Lin­ke,  die Grü­nen und die Pira­ten, unter­stüt­zen den Vor­schlag der KOP und erklä­ren sich prin­zi­pi­ell dazu bereit, den Vor­schlag ins Par­la­ment zu tra­gen.  So ver­tritt auch Grü­nen-Poli­ti­ke­rin Canan Bay­ram die Auf­fas­sung, dass es sei­tens der Poli­zei wenig Ein­sicht gibt, insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus über­haupt zu erken­nen. Hakan Taş  von der Lin­ken hält es außer­dem für not­wen­dig, dass  es eine unab­hän­gi­ge Aus­wer­tung der Bögen gibt, „denn die Poli­zei ist insti­tu­tio­nell rassistisch.“

Ein ande­res Opfer  poli­zei­li­cher  ras­sis­ti­scher Über­grif­fe ist Liam G., der eini­ge Male mit poli­zei­li­cher Gewalt kon­fron­tiert war: Am 2. Sep­tem­ber. 2013 arbei­tet Liam G. in der Wie­ner Stra­ße und sieht, wie zwei  „Wei­ße“ einen „Schwar­zen“ jagen. Er mischt sich ein, indem er brüllt: „Hört auf mit dem Scheiß!“. Als die zwei den „Schwar­zen“ schließ­lich ein­ho­len, kommt es zwi­schen ihnen zur Prü­ge­lei. Liam G. geht dazwi­schen. Der „Schwar­ze“ kann weg­ren­nen und die zwei „Wei­ßen“, von denen ein star­ker Alko­hol­ge­ruch aus­geht, prü­geln nun auf Liam G. ein. Von den Zuschau­en­den greift nie­mand ein, aller­dings ruft einer, er wol­le die Poli­zei alar­mie­ren. Dar­auf­hin holt einer der Angrei­fer sei­ne Dienst­mar­ke her­aus: „Wir sind Poli­zis­ten!“ Die bei­den prü­geln wei­ter auf Liam ein, bis ein Strei­fen­wa­gen mit wei­te­ren vier Polizist_innen auf­taucht. Die­se kon­trol­lie­ren nun Liams Aus­weis und las­sen ihn nicht zu Wort kom­men. Im Gegen­teil,  Liam ist der­je­ni­ge, der wegen Kör­per­ver­let­zung ange­zeigt wird.  „Sein Glück“ ist, dass sechs Zeug_innen fast iden­ti­sche Aus­sa­gen machen und den wah­ren Tat­ver­lauf schil­dern: Liam habe nichts gemacht, die Poli­zis­ten hät­ten Liam grund­los verprügelt.

Die­ses Bei­spiel zeigt auf eine trau­ri­ge Art und Wei­se, dass Per­so­nen auf­grund ihrer ver­meint­li­chen eth­ni­schen Zuge­hö­rig­keit nicht nur Opfer von ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Kon­trol­len wer­den, son­dern außer­dem, dass sie, wenn sie auf bru­ta­le poli­zei­li­che Gewalt sto­ßen, auch noch kri­mi­na­li­siert werden.

Auf die Fra­ge, wann sie den Vor­schlag ins Par­la­ment tra­gen wür­den, fällt die Ant­wort der Politiker_innen jedoch ernüch­ternd aus: „Wir wer­den den Antrag auf jeden Fall stel­len, die Fra­ge ist nur wann“, so Hakan Taş. Für die Betrof­fe­nen, die tag­täg­lich auf­grund ihrer ver­meint­li­chen eth­ni­schen Zuge­hö­rig­keit Opfer von ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Kon­trol­len wer­den, dürf­te sich dies nicht all­zu viel­ver­spre­chend anhören.

Ab Anfang Mai plant die Poli­zei Ber­lin  einen dau­er­haf­ten  Ein­satz von uni­for­mier­ten Strei­fen im Gör­lit­zer Park. Der Kreuz­ber­ger Park wird dann wohl noch län­ger ein „poli­zei­be­las­te­ter“ Ort bleiben.