Sie sehen sich nach eigenen Angaben als die Friedensbewegung 2014 und wollen sich weder rechts noch links positionieren. Sie behaupten die Stimme des Volkes zu sein. Sie nutzen den Begriff «Montagsdemonstration» in Anspielung auf die Massendemonstrationen in der DDR und die Hartz-IV-Proteste. Doch ein Blick auf die Seiten der Organisator_innen zeigt, dass es sich bei den bundesweiten Montagsdemonstrationen um ein Sammelbecken antisemitischer Verschwörungstheoritiker_innen handelt.
Die Facebook-Seite «Anonymous.Kollektiv» gilt als wichtiger Initiator bei der Mobilisierung zu Montagsdemos und fällt immer wieder mit antisemitischen und völkischen Äußerungen auf. Anonymous-Aktivist_innen richten sich in einem Aufruf explizit gegen den Betreiber des Accounts. Sie weisen jede Beteiligung des Hackerkollektivs an den Aktionen von sich und sehen darin eine Aneignung eines bekannten Labels, um Werbung für sein Unternehmen und rechte Verschwörungstheorien zu verbreiten. Durch nicht gleich mit dem rechten Spektrum verbundene Themen, wie Kritik an Rundfunk- und Fernsehgebühren oder dem Einsatz für Frieden wird ein niederschwelliger Zugang für politisch Unentschlossene geschaffen. So wird ein heterogenes Spektrum zu den verschwörungstheoretischen Montagsdemonstrationen angezogen. Darin liegt auch das schwer fassbare der neuen «Friedensbewegung».
Bei einer näheren Betrachtung des Ganzen, lassen sich klare Denkmuster herausarbeiten. So seien alle Völker von Amerika fremdgesteuert und man müsse deswegen für Volkssouveränität kämpfen. «Das deutsche Volk hat dazugelernt! Das deutsche Volk ist viel besser als sein Ruf! Die amerikanisierten Medien und Politiker in Deutschland sind geil auf Krieg, unser Volk aber will den Frieden!», verkündet etwa Jürgen Elsässer in seiner Rede am 21. April. Die Konstruktion eines vereinigten deutschen Volkes, das gemeinsam gegen die bösen amerikanischen Mächte einsteht, folgt einem simplen Wir ‑Ihr-Antagonismus, der typisch ist für solche Argumentationmuster.
Auch die EU sei nur ein Spielball der amerikanischen Mächte. «Der Eunuch Europa lebt im Palast seines Herrschers USA. Dieser Herrscher ist hart aber fair, es sei denn, man widersetzt sich seinen Anweisungen, die immer nur ein Ziel kennen. Die Herrschaft ausbauen und verteidigen», schreibt Ken Jebsen, der wegen antisemitistischer Äußerungen vom RBB entlassen wurde und neuerdings als Gesicht dieser Bewegung gilt.
In seiner Rede auf der Montagsdemonstration in Berlin am 21. April 2014 zählt Jürgen Elsässer, einst gefürchteter linksradikaler Autor und unterdessen zum völkisch-nationalistischen Querfront-Fuzzy mutiert, die Schuldigen auf: «Das Verbrechen hat Name und Anschrift, wie Bertolt Brecht einmal sagte. Um einige Namen zu nennen: Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski, das englische Königshaus, das saudische Königshaus». Die personalisierte Kapitalismuskritik ist dabei stark verkürzt und antisemitisch, weil sie — mal wieder — einzelne jüdische Bankiers für die Übel der «kleinen Leute» verantwortlich macht. Sie blendet die Heterogenität der kapitalistischen Global Player aus und reduziert multikausaule Zusammenhänge auf einzelne Gruppen, ganz besonders auf Jüd_innen.
Die Beschuldigung der Jüd_innen hat Tradition in Deutschland. Im Mittelalter war die jüdische Bevölkerung von den Zünften ausgeschlossen und somit auf den Geldverleih beschränkt, der unter den Christen als schmutzig galt. Sie wurden als Wucherer geächtet. Ab dem 19. Jahrhundert verwies man dann auf einzelne reiche jüdische Bankiers. Bereits in den Schriften eines Fürst Pückler-Muskau kann man lesen, dass ohne die Rothschilds „keine Macht in Europa Krieg führen” könne. Im Sinne dieser Tradition halten Demonstrierende auf den so genannten Montagsdemos Schilder hoch, auf denen die Rotschilds zu den Schuldigen für Krieg und Krise erklärt werden.
Doch nicht nur der bürgerliche Antisemitismus ist alarmierend, bei diesen neuen Montagsdemos laufen nachweislich auch bekannte Nazigrößen mit. Das „Anonymos Kollektiv“ nimmt dazu auf seiner Seite folgendermaßen Stellung: «Man kann keine Montagsdemo nach dem Motto: ‚Vom Volk fürs Volk‘ organisieren und gemeinsam für Demokratie und Bürgerrechte einstehen und im selben Moment fordern, Menschen von den Demos auszuschließen, nur weil diese Mitglied bei der NPD, bei den Linken oder sonst einer Partei sind“. Sie distanzieren sich nicht von den Rechten auf ihren Demonstrationen. Im Gegenteil, sie akzeptieren menschenverachtende Ideologien und setzen die NPD mit linker Kritik gleich.
Jede Kritik an ihrer Weltsicht wird mit dem Herbeirufen des deutschen «Schuldkomplexes» weggedrückt und ins Lächerliche gezogen. Ein Aufruf von Jutta Ditfurth an die Antifa, gegen die selbsternannte Friedensbewegung vorzugehen, wird entgegengehalten: «Durch die deutsche Schul(d)bildung ist Jutta Ditfurth ein besonderes Beispiel für die philosemitische Nachkriegsgeneration. Ihre übersteigerte Empathie lässt sie überall braunes Gedankengut und braune Männchen sehen», schreibt Ken Jebsen auf seine Facebook-Seite am 23. April. Antisemitismus wird hierbei nicht versteckt geäußert, sondern als Tugend gegen den Philosemitismus gesehen.
Solche und ähnliche Argumentationsstrukturen zielen auf Menschen, die sich für besonders aufgeklärte und kritische Denker_innen halten. Die Gefahr, die von dieser verschwörungstheoretischen «Friedensbewegung» ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Im Gegenteil, hier besteht dringender Aufklärungsbedarf auch innerhalb linker Kreise, die der Einladung zur Querfront zu folgen geneigt sind, um den „Rechten“ das Feld nicht zu überlassen. Ditfurth hat recht: dagegen wäre vorzugehen!
„einzelne jüdische Bankiers“…!?? Rockefeller, Familie Saudi, englische
Königsfamilie? Ich denke es ist Elsässers Antisemitismus zu verdanken,
überproportional jüdische Bankiersfamilien zu benennen, aber wir dürfen
unsere Trennschärfe auch nicht verlieren und pauschalisieren. Mir fällt
auf, dass es den gut finanzierten Autor*innen überproportional oft
darauf ankommt, nicht primär (strukturellen) Antisemitismus zu
bekämpfen, sondern jede Kapitalismuskritik die REALE Auswirkungen hätte
und mehr als eine akademische linke Szene MOBILISIEREN würde, mit aller
Vehemenz kritisiert wird. Wie sieht denn praktischer Antikapitalismus
aus, wenn nicht klassenkämpferisch? Und wie ist dieser auch
nicht-akademischen (Prolls!?) Leuten zu vermitteln, außer mit
Einstiegsparolen und gewissen Vereinfachungen??