«Bei uns brennt es». Diesen Satz bekamen wir immer wieder zu hören, als wir das Treffen des bundesweiten Gesprächskreises Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 29. November 2013 in Potsdam vorbereiteten. Schwerpunkt war die Problematik der Unterbringung von Asylsuchenden bzw. Geduldeten. War ihre Zahl nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Mai 1993 jahrelang kontinuierlich zurückgegangen, gibt es in der Bundesrepublik neuerdings wieder deutlich mehr Menschen, die Schutz vor Verfolgung, Kriegen und ökonomischer Perspektivlosigkeit suchen. Im Gefolge füllen sich die noch bestehenden Aufnahme-Einrichtungen, und neue werden geschaffen. Regelmäßig kommt es dann vor Ort zu teils äußerst aggressivem «Bürger_innen-Protest». Dabei ähneln sich die rechtspopulistischen bis offen neonazistischen Parolen in Ost und West, in Großstädten wie in ländlichen Gemeinden ebenso wie die Aufmachung der entsprechenden Facebook-Seiten. Bei seiner Beratung am 29. November 2013 in Potsdam machte sich der Gesprächskreis Migration auf die Suche nach Strategien gegen rechte Stimmungsmache und linke Hilflosigkeit.
Während der Verdacht einer zentralen Steuerung durch extreme rechte Kräfte zumindest naheliegt, fühlen sich kommunal engagierte Linke und Antirassist_innen, die die Refugees schützen und unterstützen wollen, oft hilflos. Auch wenn sie Mandatsträger_innen sind, werden sie meist, wie die übrigen Anwohner_innen, vor vollendete Tatsachen gestellt – wo eine zentrale Einrichtung eröffnet wird, ist Herrschaftswissen der jeweiligen Bürgermeister_innen oder Landrät_innen, die die Verträge mit den Betreiber_innen abschließen und aus Furcht vor der öffentlichen Stimmung häufig nur zurückhaltend darüber informieren. Zudem treten Linke aus guten Gründen für eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten ein – also für deren Versorgung mit Wohnungen –, sehen sich hier aber verpflichtet, sich gegen den rechten Mob vor die Sammelunterkünfte zu stellen.
Genug Gesprächsbedarf also – und so war unser Treffen auch sehr gut besucht. Zunächst konstatierte die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, die sich kommunalpolitisch im brandenburgischen Landkreis Barnim engagiert, den dringenden Bedarf an Handreichungen für linke Mandatsträger_innen und andere Menschen, die sich überall in der Bundesrepublik vor Ort für die Refugees einsetzen. Wie Koray Yılmaz-Günay als Referent für Migration der Stiftung betonte, wird die Entwicklung von entsprechendem Material ein Arbeitsschwerpunkt des Gesprächskreises im Jahr 2014 sein (nächstes Treffen Mitte März 2014). In diesem Sinn wurde im Lauf der Veranstaltung deutlich, dass es linker Flüchtlingspolitik darum gehen muss, jeweils lokal auf eine «Willkommenskultur» hinzuwirken, die auf Respekt für die Schutzsuchenden basiert. Dabei erfordert der gewünschte Umgang auf Augenhöhe vor allem, ihnen Raum für Self-Empowerment zu schaffen.
Chu Eben vom Verein Refugee Emancipation, Ferdinand Ngninkeleji von der Flüchtlingsinitiative Berlin-Brandenburg und andere Vertreter_innen von Selbstorganisationen wandten sich freundlich, aber bestimmt gegen eine bevormundende Hilfe durch solche Unterstützer_innen aus der Mehrheitsgesellschaft, denen es mehr um eigenes Prestige oder auch um bezahlte Jobs als Lobbyist_innen oder Betreuer_innen geht. Sie schilderten die katastrophalen Zustände in vielen Sammelunterkünften, in denen sich Heimleiter_innen absolute Kontrollgewalt anmaßen und privates Wachpersonal den zum Teil schwersttraumatisierten Menschen willkürlich mit «Abschiebung» droht. Umgekehrt werden den Refugees oft jegliche Informationen über ihre Rechte ebenso vorenthalten wie der Zugang zur medizinischen Regelversorgung. Die Aktivist_innen plädierten überzeugend dafür, dass es in jedem Heim ein von Selbstorganisationen autonom verwaltetes «Internetcafé» geben müsste, in dem sich neu angekommene Refugees von solchen, die schon länger hier sind, beraten lassen und eigene Kontakte in die Zivilgesellschaft aufbauen könnten.
Unabhängig davon, dass die Unterbringung in Sammelunterkünften grundsätzlich auf maximal sechs Monate begrenzt sein sollte, waren sich die aus Nordrhein-Westfalen, Bremen, Sachsen, Brandenburg und Berlin angereisten Teilnehmer_innen des Gesprächskreises einig, dass linke Politik in jedem Bundesland dafür eintreten sollte, diese und weitere Forderungen der Geflüchteten (insbesondere, was die medizinische und psychosoziale Versorgung angeht) in einen Katalog von Mindeststandards aufzunehmen, den die Träger_innen der Einrichtungen landesweit zu gewährleisten hätten – formales Vorbild dafür könnte der sächsische «Heim-TÜV» sein. Zugleich stellten wir fest, dass der «Königsteiner Schlüssel», nach dem die Refugees auf die verschiedenen Bundesländer verteilt werden, bei aller Kritikwürdigkeit auch Chancen bietet. Denn zwar ist es so dem Belieben einzelner Landräte überlassen, ob sie etwa den Geflüchteten Geld auszahlen oder Gutscheine ausgeben – doch andererseits lässt sich in kleineren Einheiten bei entsprechendem Engagement von Aktivist_innen gelegentlich auch die Stimmung der Anwohner_innen leichter «drehen».
So berichtete Dagmar Enkelmann, wie im brandenburgischen Wandlitz/Kreis Barnim im Lauf der Zeit aus einer von der NPD unterstützten «Bürger_inneninitiative» gegen eine Sammelunterkunft zum Verdruss der Neonazis eine Art «Willkommens-Initiative» für die Geflüchteten wurde – mit Sprachkursen, Begleitung bei Behördengängen usw. auf ehrenamtlicher Basis. Weitere positive Beispiele aus Ost- wie Westdeutschland finden sich in dem Buch Realität Einwanderung: Kommunale Möglichkeiten der Teilhabe, gegen Diskriminierung von Koray Yılmaz-Günay und Freya-Maria Klinger, das Ende Januar in der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Reihe Crashkurs Kommune im Hamburger VSA Verlag erscheint (ISBN 978−3−89965−584−1 / Euro 7.50).
Sehr zu empfehlen ist die Website der Initiative Refugees Emancipation. Auf dem Blog der Kommunalakademie der Rosa-Luxemburg-Stiftung findet sich zudem eine Sammlung von Informationen und Argumentationshilfen rund um Flucht/Asyl auf kommunaler Ebene – u.a. auch zu den «Protesten» gegen Sammelunterkünfte, die vielerorts durch rechtspopulistische und neonazistische Gruppierungen initiiert werden.
Weiteres Material von Interesse:
Positionspapier des Netzwerks Asyl Migration Flucht (Dresden): 2013-10 NAMF AG Gesundheit Positionspapier;
Modellprojekt Krankenversicherten-Chipkarten zur medizinischen Versorgung nach §§ 4 und 6 AsylbLG (Bremen): Bremer Modell Medizin AsylbLG;
Stellungnahme der Bundesärztekammer zur «Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patient_innen mit Migrationshintergrund»: 2013-05-03 Stellungnahme Bundesärztekammer;
Broschüre der Sächsische Landesärztekammer «Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis»: Sächsiche Landesärztekammer.
Salih Wolter ist Mitglied des Gesprächskreises Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Gute Initiative. Hier noch zwei Hinweise:
Guckt mal bei
http://www.keinveedelfuerrassismus.de
und
http://kölner-flüchtlingsrat.de/neu/